Die Entstehungsgeschichte Grävenecks

Ein Blick auf die Entstehung eines Ortes an der Lahn und die Entwicklung des herrschaftlichen Besitzes

Die Geschichte der Lahngemeinde Gräveneck nimmt ihren Anfang mit der urkundlichen Ersterwähnung im Jahre 1395. zu verdanken hat der Ort seine Existenz einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem Grafen von Nassau-Saarbrücken
und dem Rittergeschlecht zu Elkerhausen, die im Jahre 1395/96 zugunsten des ersteren entschieden wird.
In der von Thilemann Ehlen von Wolfhagen verfaßten Limburger Chronik heißt es diesbezüglich: „Item in dem selben jare vurgeschreben da zogen die zwene greben Philips von Nassauwe grebe zu Sarbrucken unde grebe Dithart von Catzenelnbogen vur Elkerhusen, ein notfeste burg uf der Lane gelegen, unde slugen da ein ander burg ober Lane uf, di genannt Grebenecke“ (Deutsche Chroniken, S. 90).

DIE HERRSCHAFTSVERHÄLTNISSE AN DER LAHN

Bevor die eigentliche Entwicklung Grävenecks beleuchtet wird, soll zum besseren Verständnis ein Überblick über die herrschaftlichen Verhältnisse in unserer Region gegeben werden.
Als Anknüpfungspunkt wird dabei die sogenannte Nassauische Bruderteilung des Jahres 1255 gewählt.
Dabei teilten die Brüder Otto und Walram ihre Besitzungen – vom Siegerland links und rechts der Lahn bis nach Mainz gelegen – untereinander auf. Otto, der jüngere von beiden, erwählte sich nach altdeutschem Herkommen den nördlichen Teil; an Walram, den Gründer der unsere Region maßgeblich beeinflußenden nassau-walramischen Linie, fiel der südlich der Lahn gelegene Teil, u.a. mit der Vogtei Weilburg.
Von Weilburg aus wurde von dieser nassauwalramischen Linie eine auf die Erweiterung ihres Besitzes angelegte zielgerichtete Territorialpolitik betrieben. Zu nennen sind hier besonders Graf Adolph, der Sohn Walrams, der im Jahre 1294 die von dem Bistum Worms an das Haus Nassau verpfändete Vogtei Weilburg durch Kauf an sich brachte, sowie dessen Sohn Gerlach, der im Jahre 1305 die Regierungsgeschäfte übernahm.
Graf Gerlach gelang u.a. die Verdrängung der Grafen von Diez-Weilnau aus dem unteren Flußgebiet der Weil, sowie der Erwerb der Herrschaft Merenberg. Durch eine Eheberedung des Jahres 1328 sollte Gertrud, die älteste Merenbergische Tochter, einen der Söhne Gerlachs ehelichen und ihrem Mann die Herrschaften Merenberg und Gleiberg zubringen.

DIE BEDEUTUNG DER ELKERHÄUSER FÜR DIE ENTSTEHUNG GRÄVENECKS

Bedroht wurde das durch die Verdrängung zu Diez-Weilnau neu erworbene nassauische Territorium im Süden jedoch von

dem erstmals im Jahre 1191 auftretenden selbständigen Rittergeschlecht derer zu Elkerhausen, das „der Pfahl im Fleisch der Herrschaft von Weilburg“ war. Das Gewicht, das Graf Gerlach den Elkerhäuser Rittern beimaß, zeigt sich zum Beispiel aus der Tatsache, daß er für die Öffnung der Burg Elkerhausen seine eigenen Burgen Freienfels und Weilburg zum Offhaus erklärte – jede Partei konnte also von da an jederzeit in der Burg des Gegners Lager halten und auf Dauer jemand darin wohnen lassen.
Darüber hinaus suchte der Fürst durch Belehnung des Hiltwin von Elkerhausen mit dem Burglehen zu Weilburg, bzw. durch Einsetzung des Heidenreich von Elkerhausen als Amtmann in Gleiberg den nachbarliehen Frieden zu wahren.

Grundriss der Burg Elkerhausen im Jahre 1352

Die Schleifung der Burg Elkerhausen im Jahres 1352
Das Jahr 1352 war für die Adligen von Elkerhausen von besonderer Bedeutung. Infolge Nichtbeachtung des für die Region an Rhein und Maas geschlossenen Landfriedens wurden sie von dem Erzbischof Balduin von Trier nach kurzer Belagerung der Stammburg in Gefangenschaft genommen; am 5. August wieder aus der Haft entlassen, mußten sie unter folgenden Bedingungen Urfede – eine durch Eid bekräftigte Versicherung, Frieden zu halten – schwören: Sie gaben ihr Einverständnis zur
Schleifung von Burg und Vorburg und verpflichteten sich, an deren Stelle keine neue Burg zu errichten, bzw. eine anderweitige Errichtung zu verhindern. Daneben verzichteten sie auf die Befehdung derjenigen, die an der Belagerung beteiligt waren, und auf aus der Belagerung folgende Ersatzansprüche.
Auf der Suche nach einem neuen Siedlungsort fanden die Elkerhäuser Adligen einen Verbündeten in dem Grafen Gerhard von Diez, der ebenfalls mit dem Grafen von Nassau zerstritten war. Der gestattete den Rittern Konrad und Heinrich den Bau einer Burg als Diezer Lehen auf dem Schwartenberg, dicht an der Grenze zu Weilburger Gebiet.
Mit der Errichtung wurde noch im Jahre 1352 begonnen, Ende des Jahres wies die Burg bereits feste Konturen auf. Sie stellte ob ihrer strategisch günstigen Lage eine ständige Bedrohung für das nassauische Territorium dar; so dauerte es nicht lange, bis Graf Johann einen ersten Versuch unternahm, die Vollendung des Bauwerkes zu verhindern. Die Behauptungen, der Burgberg sei Eigentum seiner Mannen und Burgmannen Hund, Dyde, Sure und Leynherr von Essershausen, bzw. ihm und seinen Vorfahren sei von Diezer Seite die Zustimmung zu einem Burgbau an betreffender Stelle gegeben worden, fanden vor dem Schiedsmann Gerlach von Limburg allerdings kein Gehör. Der Einspruch wurde am 24. Februar 1353 abgewiesen.
Dies hinderte Johann jedoch nicht in dem Bemühen, die von der Burg ausgehende Gefahr zu begrenzen. Am 19. August 1353 erreichte er die Öffnung der Burg auf dem Schwartenberg. Die Elkerhäuser Ritter gingen u.a. die Verpflichtung ein, den Grafen von Nassau von ihrer Burg aus nicht zu schädigen. Dieser versprach im Gegenzug, die Vollendung nicht zu verhindern, d.h., er hatte sich mit dem Entstehen der Feste abgefunden.

Die Steuerburg, 1382/83
In den folgenden Jahren blieb es um die Burg Neu-Elkerhausen ruhig. Es wird der Schluß gezogen, daß sich zwischen den ehemals streitenden Parteien engere Beziehungenangebahnt hätten. Die Brüder Heinrich und Konrad sollen in einem zwischen Nassau und Diez neuentflammten Kampf im Jahre 1353 sogar auf Seiten des Grafen Johann gestanden haben (F.A. _Schmidt). Mittelbare Bedeutung für das Entstehen Grävenecks erlangte dann das Jahr 1369, das die Brüder Eckart, Konrad und Heinrich als Besitzer der Burg Neu-Elkerhausen ausweist.
Diese drei benutzten ihre stark befestigte Burg in den folgenden Jahren zu Unternehmungen und Plünderungen bis in den Frankfurter Raum. Eckart beispielsweise überfiel im Jahre 1380 mit mehr als 300 Rit­tern und Knechten Limburg und brand­schatzte dessen Vorstadt.
Gegen die Elkerhäuser Ritter und ihre Helfer bildete sich im Jahre 1381 ein Fürstenbund auf Lebenszeit. Diesem gehörten Landgraf Hermann von Hessen, Graf Ruprecht von Nassau -ein Stiefbruder des (noch minder­jährigen) Nassauischen Herrschers Philipp-, Johann von Limburg, die Grafen Otto und Johann von Solms und Dietrich von Runkel an. Alle einte das Bestreben, die Burg Neu-­Elkerhausen zu erobern und zu zerstören.
Das Mittel dazu sollte ein in dieser Zeit oft angewandtes sein, nämlich die Errichtung einer Gegenburg. Mit deren Bau muß noch im Jahre 1381 auf der linken Lahnseite begonnen worden sein. Sie trug laut der Limburger Chronik den Namen „Stur­( =Steuer)burg“.
Den Elkerhäusern auf der Gegenseite stan­den der Pfalzgraf Ruprecht der Ältere, die Grafen Wilhelm, Eberhard und Diether von Katzenellnbogen, Heinrich und Simon von Sponheim, Johann von Nassau-Dillenburg, sowie die Stadt Wetzlar und Graf Gerhard von Diez bei.
Zwischen beiden Bündnissen kam es in Nassau zu verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen. Von solchen um die Steuerburg erfahren wir allerdings nichts.
Am 22. März 1382 wurde zwischen den kriegführenden Parteien ein Sühnevertrag geschlossen, der vor allem einen Waffen­stillstand zwischen Graf Ruprecht von Nassau und denen zu Elkerhausen bis Pfingsten des gleichen Jahres festlegte. Noch vor Abschluß des Vertrages muß es zur Zerstörung der Steuerburg gekommen sein; anders sei, so F.A. Schmidt, das Ende des auf Lebenszeit angelegten Bündnisses der Elkerhäuser Gegner nicht zu erklären. Die fehlende Aussicht Neu-Elkerhausen ein­nehmen zu können, habe diese Entwicklung bewirkt.
Zwar karn es auch in der Folgezeit zu einem weiteren Bündnis gegen die Elkerhäuser Ritter, allerdings vermochte es die Burg der Adligen nicht in Bedrängnis zu bringen. Der vor allem von Hermann von Hessen ver­folgte Plan, das Treiben der Ritter zu „steuern“, war damit vorerst zu Ende.

Die Errichtung der Burg Gräveneck im Jahre 1395
Die der Zerstörung der Steuerburg nach­folgenden Jahre sind vor allem von Ausein­andersetzungen der Elkerhäuser Adligen mit der Stadt Frankfurt gekennzeichnet. Für die Errichtung der Burg Gräveneck waren diese Fehden ohne Bedeutung.
Bedeutsamer ist hingegen die Entstehung einer Rittergesellschaft im Jahre 1394, die der sogenannten Schlegeler. Diese Gesell­schaft war in unterschiedliche, den Land­schaften entsprechende, Rotten unterteilt.
An ihrer Spitze stand jeweils ein die Be­zeichnung „König“ inne habender Führer.
Hauptgegner dieser Gesellschaft waren der Erzbischof Konrad von Mainz, Pfalz­graf Ruprecht der Ältere, der Markgraf von Baden und der Bischof von Speier. Dies hinderte die Schlegeler freilich nicht daran, bei einer Fehde zwischen Graf Philipp von Nassau-Weilburg und der Stadt Speier auf seiten der letzteren zu fechten und mit dafür zu sorgen, daß Graf Philipp auf seine gegenüber Speier erhobenen Ansprüche verzichten mußte.
Über eine Beteiligung der Elkerhäuser Adligen an diesem Ereignis ist nichts bekannt. Allerdings war Eckart König der Taunusritterschaft, die vor allem von dem Geschlecht derer zu Kronberg gebildet wurde. Mit diesen war er schon seit dem Jahre 1378 eng verbunden, stand zwischenzeitlich sogar durch eine Heirat in verwandtschaftlichem Verhältnis zu ihnen.
FA Schmidt vermutet nun, daß Graf Phil­ipp sich diese Zugehörigkeit der Elker­häuser zu seinen Gegnern dienstbar machte und die Gelegenheit für gekommen sah, die sein Territorium bedrohende Burg Neu-Elkerhausen zu vernichten. Zunächst bot er den Burgbesitzern an, die Burg zu seinem Lehen zu nehmen, was diese ablehnten. Sodann ging er dazu über, sich mit dem Erzbischof von Mainz – einem der Hauptkontrahenten der Schlegeler – und Graf Dieter von Katzenellnbogen mächtige Bundesgenossen für sein Vorhaben zu sichern.
Im Jahre 1395 dann wurde jenseits der Lahn, der Burg Neu-Elkerhausen unmittel­bar gegenüber, mit dem Bau der Burg Gräveneck begonnen. Die Gegenseite vermochte die Fertigstellung nicht zu verhindern, so daß ein dem Streben Philipps dienender fester und wehrhafter Stützpunkt entstehen konnte.
Der Graf von Nassau-Weilburg schloß einen Ring um Neu-Elkerhausen und sorgte dafür, daß diese von der Außenwelt völlig abgeschottet wurde. So war es ne­ben der Beschießung mit Steinschleudern vor allem der Hunger, der der eingeschlos­senen Burgbesatzung zu schaffen machte. Am 1 . Juli 1396 endlich fiel Burg Neu­-Elkerhausen mit 16 Mann Besatzung in die Hände des Grafen. Die Burg selbst wurde abgebrochen und bis auf die heute noch erhaltenen kümmerlichen Reste zerstört.
In der Mainzer Städtechronik wird das Ereignis wie folgt gefeiert: „Das „Königreich“
des eiwähnten Ritters (seil. Eckart) hat nur kurze Zeit gewährt; denn im Jahr vorher war er König der Schlegler, im Jahr danach war er ein armer Ritter und das mit Recht, weil er keine eigene Hufe besitzt“ (nach F.A. Schmidt, S. 23). Friede zwischen den verfeindeten
Parteien wird erst am 13. Oktober 1396 ge­schlossen, wobei die Elkerhäuser Adligen
nicht an den Verhandlungen beteiligt waren.

BURG UND TAL (=DORF) GRÄVENECK ALS LEHENSBESITZ

Mit der Zerstörung von Neu-Elkerhausen hatte Burg Gräveneck seine militärisch-strategische Bedeutung verloren. Es wurde zu einem Lehens- (=Leih)besitz für verdiente Gefolgsleute des Grafen Philipp von Nassau-Saarbrücken.
Der Leihbesitz verpflichtete den Lehensherrn zu Schutz gegenüber dem Lehensmann, während dieser seinem Herrn gegenüber zu Dienst (Heer-‚ Hoffahrt usw.) und Treue verpflichtet war. Ausgestaltet war das Lehen im Fall von Burg und Tal Gräveneck als sogenanntes „Manniehen“. Es wurde vererblich gestellt und fiel erst mit dem Tode des letzten männlichen Mitgliedes eines Familienzweiges an den Landesherrn zurück.
Erster Lehensinhaber war im Jahre 1429 der Weilburger Amtmann Hermann von Hohenweisel. Ein Jahr später belehnte Graf Philipp einen anderen Niederadligen, den Emmerich Wolfskehl von Vetzberg, mit dem Burglehen zu Gräveneck mit Hofstaat,
Garten, Wiesen, Weiden, Äckern, Weingärten und Zehnten. Diese Besitzungen verblieben der Familie rund 200 Jahre, die von Vetzberg besaßen für diesen Zeitraum den Status eines Burgmannes.
Im Jahre 1449 folgte dem von Hohenweisel der dem Geschlecht der Brendel von Homburg entstammende Ritter Friedrich Brendel als Lehensmann von Gräveneck.
In der Belehnungsurkunde vom 23. Juni ist hierzu folgendes zu lesen:
„Wir Philips Grave zu Nassauw vnd Saarbruck bekennen mit diessem brieffe vor vns vnd vnser erben das wir hain aingisehen getreüen nitzlichen dienst den vnßer Leiber getreuer Friederich Brendel von Homberg vnsim lieben Hem vund vattir seligen vnd vnß der onverdrossen getah hait, Vnd vns vorbas thün sol vnd magk in künfftigen Zeittin Vnd hab habin darin mit freyhin willin von besondem gnaden vnd gonst den silben Friederichen vnd seinen libslichen irbin zo richtin manlihen gelihen, Vnd lyhin In crafft dies brieffs Vnsir Schloss greffeneck Burgck Vnd dali mit allin bigriffen vnd allem zwogehore, es seye an Eckern, Wisen, Weyngerten, molin, fzschireyen, Wasser, Weide, Weldem, Rechten, allin, Zinsen, Vnd pfinnig güldin, es syhe ain geldin, weyßgüldin, kom, Haffer, Weitzen, Rist, olim genße vnd honer, wie das zo dem schloß gehort und dali. Es syhe von Zehinden, huben, eckim, gartin, und rödem wie vnd an wilchin enden das gefil.lt. Alß, hiemals von Hoenwißel vnßer lieber getreüen, seligen dz vnd vffgaben hait,
vnd sein shone itzunt noch zur hat. Vnd auch den dienst von Vnsem amrem leüthen zo elckerhüßen, Virdenwert, Falckinbach, Wirweverblieben lauw Vnd zu Selbach …. „
Der Familienzweig blieb im folgenden nahezu zwei Jahrhunderte im Besitz von Burg und Dorf Gräveneck. Erst im Jahre 1633, nach dem Ableben des Ritters Daniel Brendel von Homburg fielen die Feste und der Ort wieder an das Fürstenhaus Nassau-Saarbrücken zurück.

(Thomas Appl)